Es gibt sehr viele Gründe warum das Velo (Bike) in seinen zahlreichen Facetten so beliebt wie noch nie ist. Maxi Dickerhoff hat seine Sicht der Dinge in einem erst kürzlich veröffentlichten Artikel „Ist das Mountainbike falsch abgebogen?“ dargelegt. Der Artikel hat mich seitdem nicht losgelassen und ich habe das auch selber reflektiert. Überlegt doch mal selber, was sind eure primären Gründe warum ihr das Bike aus der Ecke, Garage, Keller holt und eine „Runde“ damit fahrt.

Seine Thesen (Motive) zum „Biken“ sowie jeweils Gründe wieso sich Hersteller, Marketing oder Branche genau zum Gegenteil entwickelt…


Motiv Nr. 1 – das Bedürfnis nach Freiheit und die Sehnsucht nach Naturverbundenheit.
Freiheit bedeutet für Radfahrer Autonomie: selbstbestimmte Route, Zeit, Tempo und Begleitung. Anders als beim Teamsport sind wir an kein Regelwerk, keinen Platz gebunden. Und Freiheit ist eng mit Naturerlebnis verbunden – draussen sein, neue Gegenden erkunden, Ruhe finden.

Doch die Realität sieht oft anders aus. Viele Touren beginnen nicht an der Haustür, sondern mit dem Auto. Steigende Bike-Gewichte machen die Anfahrt zum Trail beschwerlich, restriktive Regeln drängen uns in ausgewiesene „Reservate“. Hinzu kommt die Reichweitenangst beim Akku und die wachsende technische Komplexität. Schon das Einstellen der Federung oder eine defekte Dropper Post überfordert viele.

Besonders störend: die Geräuschkulisse. Motorsurren und Klappern stehen im direkten Widerspruch zum Bedürfnis nach Stille und Natur. Studien bestätigen: Der Hauptgrund für Kaufreue sind technische Defekte – vor allem Motorschäden, die im Schnitt 16 Tage Stillstand bedeuten.

Auch Software trägt zum Frust bei. Displays, Controller und Apps liefern redundante Informationen, statt Klarheit. Shimano betreibt sogar zwei Apps parallel. Das Gegenteil von Intuitivität. Dabei hat uns Apple längst gezeigt, wie Einfachheit funktioniert: ein Interface, das jedes Kind versteht – berühren, wischen, fertig. Warum bekommt die Fahrradbranche das nicht hin?


Motiv Nr. 2 – Abschalten für’s innere Wohlbefinden
Die Schönheit des Radfahrens liegt in seiner Einfachheit: Aufsteigen, reintreten, vorwärtskommen. So lässt sich der Kopf leeren. Wer intensivere Reize braucht, sucht sie im Gelände – dort, wo volle Konzentration gefragt ist und kein Raum für Alltag bleibt. Stichwort Flow: Der eine findet ihn auf dem Schotterweg, der andere erst auf der Downhill-Strecke.

Doch oft wird der Weg dorthin verstellt – durch Kommunikation. Die (e)Mountainbike-Bubble ist laut. Influencer übertönen sich mit Parolen, reisserischen Schlagzeilen und Verboten wie „10 Dinge, die du mit deinem eBike niemals tun solltest“. Solche Botschaften schaffen keine Leichtigkeit, sondern Druck.

Auch die Technik trägt dazu bei. Die Vielzahl an Einstellungen und Pflegetipps vermittelt den Eindruck: Ohne tiefes Fachwissen keine Freude am Bike. Nerds mögen sich daran austoben – die Mehrheit fühlt sich überfordert. Dabei liegt Erfolg, wie beim iPhone, gerade in intuitiver Bedienung.

Menschen wollen biken. Raus, weg vom Bildschirm. Doch ausgerechnet die Kommunikation der Branche hält sie dort fest. Ein Widerspruch – und eine Gefahr.


Motiv Nr. 3: Die Dopamin-Fraktion
Die einen suchen einen freien Kopf durch freies Fahren, die anderen schalten den Alltag ab, indem sie hemmungslos dem Fahrspass frönen. Am Ende geht’s um Dopamin – jenen Neurotransmitter, der unser Belohnungssystem anfeuert.

Auch diese Fraktion hat DJI (Hersteller) mit dem Avinox-Motor perfekt bedient: Schiere Leistung macht schlicht Spass. Wie beim Motorrad gilt auch hier: Wer Fun will, wählt das „Mehr“.

Der Haken: Was heute Kick liefert, stumpft morgen ab. Wer Leistung als Hauptreiz versteht, fordert ständig neue Superlative – stärkere Motoren, mehr Drehmoment, grössere Akkus. Doch diese Spirale macht das Produkt austauschbar. Spass allein bindet nicht dauerhaft.


Motiv Nr. 4: Soziale Zugehörigkeit
In einer Gesellschaft, in der klassische Sinnstifter wie Kirche oder Familie an Bedeutung verlieren, suchen Menschen neue Formen von Zugehörigkeit. Freizeitaktivitäten und Lebensstile werden zu Ersatzgemeinschaften – Marken wie Patagonia spielen diese Karte meisterhaft.

Doch im Mountainbiken zerfasern viele dieser Gemeinschaften. Früher gab es die Trail-Biker. Heute spaltet sich die Szene in eMTB und Muskel-MTB. Unter den „Muskel-Bikern“ wiederum suchen die einen Genuss auf langen Touren, den anderen ist das mit ihrem schweren Enduro-Boliden zu mühsam. Und bei den E-Bikern trennt sich die Fraktion der Light-Assist-Fahrer von der Full-Power-Fraktion – wer nicht die Beine eines Peter Sagan hat, bleibt zurück.

Das Ergebnis: Es gibt nicht mehr den Mountainbiker, sondern unzählige Subgruppen, die kaum noch zusammenfinden. Gemeinschaft wird brüchig – und was mühsam ist, verliert an Attraktivität. Einfachheit zieht, Fragmentierung schreckt ab.


Die Webseite Bergwelten hat natürlich auch ihre Meinung zum Thema

Weil das Biken der rundeste Sport am Berg ist
Schweiss bergauf, Stärkung on top, Trail-Spass bergab. Beim Mountainbiken hat man the best of all worlds: Zuerst werden Muskeln und Ausdauer gestärkt, wenn man sich den Berg hinauf kämpft. Oben angekommen wartet meistens irgendwo eine gemütliche Almhütte oder ein nettes Gasthaus, in dem man die Energiespeicher wieder auffüllen kann. Bergab hält sich die Anstrengung in Grenzen, bestenfalls kommt man so richtig in den Flow. Und ehe man sich’s versieht, ist die Tour auch schon wieder vorbei und alles, was man im Kopf hat, ist: Ich will das wieder machen!


Weil der Speed-Faktor mitspielt
Weil man schneller tiefer drinnen ist in der Bergwelt: Kein langer Hatsch, keine wunden Blasen, keine knackenden Gelenke (zumindest nicht am Körper). Auf dem Mountainbike sieht man mehr von den Bergen und selbst der eintönigste Fichtenwald zieht schnell vorbei. Und wenn es wo mal besonders schön ist, fährt man einfach langsamer oder steigt ab. Weiterer Pluspunkt: Man ist schneller wieder unten vom Berg. Ist der Abstieg beim Wandern oft ein notwendiges Übel, macht er beim Biken richtig Spass.


Weil es ein tiefes Freiheitsgefühl bringt und man wieder Kind wird
Fahrtwind im Haar, Jauchzer in der Kehle, Hüpfer auf dem Trail: Beim Mountainbiken darf man auch mal so richtig „die Sau rauslassen“. Dabei schüttet unser Gehirn Seratonin und Endorphine aus – wir fühlen uns glücklich, frei, ja vielleicht sogar so, als wären wir wieder Kind. Besonders dann, wenn als Abschluss einer Tour ein Einkehrschwung in der Eisdiele winkt.


Die Webseite Dirt Mountainbike hat da eine lustige (z.T. nicht ernstgemeinte) Ansicht, Auflistung dazu veröffentlicht -> 50 Gründe warum wir es lieben, Mountainbike zu fahren

  1. Weil wir keine Mannschaftssportarten mögen
  2. Weil wir Schwielen an den Händen haben möchten
  3. Weil wir Wheelies lieben
  4. Weil sich das ganze Geld, das wir in Krankenkassen einzahlen, schliesslich auszahlen soll
  5. Weil es der Hammer ist, in einem umgebauten Opel Mavano von Bikepark zu Bikepark zu fahren
  6. Weil wir Instagram-Posts von schönen Aussichten machen wollen
  7. Weil wir uns gerne wie Stormtroopers anziehen
  8. Weil wir Tag und Nacht nach Schweiss und Gummi riechen möchten
  9. Weil wir dachten, wir würden dadurch für das andere Geschlecht attraktiver – was sich in den meisten Fällen leider als eine krasse Fehleinschätzung herausgestellt hat
  10. Weil wir die Natur lieben
  11. Weil wir nicht wirklich zwei komplett intakten Schlüsselbeine brauchen
  12. Weil man am Lift immer nette Leute kennenlernt
  13. Weil wir zu faul zum Rennradfahren sind
  14. Weil wir die heissen Sommermonate am liebsten auf kalten Berggipfeln verbringen
  15. Weil Pedalabrutscher auch nichts anderes als kostenlose Akupunktur sind
  16. Weil die Fussmatten in unseren Autos zu sauber waren
  17. Weil wir sexy Waden wollen
  18. Weil wir zu cool sind, um Scooter zu fahren
  19. Weil wir Tätowierungen von Kettenblättern lieben
  20. Weil wir unseren Freunden Rampage-Videos mit den Worten zeigen können: “So was in der Art mache ich in meiner Freizeit”
  21. Weil wir Angst davor haben, BMX zu fahren. Denn wer fällt schon gerne auf Beton?!
  22. Weil wir in unserem bisherigen Leben noch nicht genug Anwälte und Zahnärzte kennengelernt haben
  23. Weil wir einen triftigen Grund brauchen, um Burger und Kuchen zu essen
  24. Weil wir nach einer Ausrede gesucht haben, um Experten für Bodenbelege zu werden
  25. Weil wir sicherstellen wollen, dass die Leute, die an den Lifts in den Alpen arbeiten, das ganze Jahr über einen Job haben
  26. Weil ein Leben ohne Dreck und Schmutz unter den Fingernägeln sinnlos wäre
  27. Weil Fitnessstudios teuer und langweilig sind
  28. Weil einen Tubeless-Reifen aufzuziehen oder ein Bremskabel durch den Rahmen zu verlegen, lustig ist, wie ein Puzzle zu lösen
  29. Weil wir nie wirklich erwachsen geworden sind
  30. Weil Bergsteigen gleich viel mehr Spass macht, wenn man dabei ein 18 kg schweres Rad schiebt
  31. Weil es Spass macht, erwachsenen Männern dabei zuzusehen, wie sie sich wie kleine Kinder freuen
  32. Weil wir noch nicht genügend karierte Hemden im Kleiderschrank hatten
  33. Weil wir es lieben, dass unsere leiblich Unversehrtheit von Dreiecken aus Carbon abhängt
  34. Weil wir zu viel freien Platz in der Garage hatten
  35. Weil die Trails in Whistler auf Video ganz einfach aussahen
  36. Weil wir uns ein Spielzeug kaufen wollten, das teurer als unser Auto ist
  37. Weil wir die am schlimmsten stinkenden Handschuhe der Welt besitzen wollen
  38. Weil uns niemand in seiner Fussballmanschaft haben wollte
  39. Weil wir es lieben, endlos über die richtige Laufradgröße und E-Bikes zu diskutieren
  40. Weil wir manchmal auch etwas anderes als die Küche oder das Badezimmer sauber machen wollen
  41. Weil wir gerne eine Stunde lang für fünf Minuten Spass leiden
  42. Weil wir es mögen, Rad zu fahren, es gleichzeitig aber hassen, unsere Beine zu rasieren
  43. Weil ein guter Whip einfach zeitlos ist
  44. Weil wir gerne von 14Jährigen vorgeführt werden, die nicht nur schneller, sondern auch mutiger sind als wir selbst
  45. Weil wir gerne gerne an entlegene Ort ohne Infrastruktur oder irgendwelche Annehmlichkeiten reisen
  46. Weil Skids nicht nur etwas für Kids sind
  47. Weil die Welt mehr YouTube-Kanäle mit zweitklassigen GoPro-Aufnahmen braucht
  48. Weil Carbon sexy ist
  49. Weil wir auf einen Part in der nächsten Folge von New World Disorder hoffen
  50. Aber der einzig wahre Grund lautet natürlich:
    Weil Mountainbiking einfach so verdammt viel Spass macht!

Abschluss-Plädoyer von Maxi Dickerhoff

„Sexy sind Rennrad und Gravel-Bike – weil sie unkompliziert sind. Rauf aufs Rad, treten, rollen. Das Schwierigste ist vielleicht ein Platten – und selbst der wird im Rudel gelöst, denn Group Rides gibt es wie Kiesel auf dem Schotterweg.
Und wir? Als (e)MTB-Branche laufen wir Gefahr, uns in Technik und Optionen zu verheddern. Je komplexer die Bikes, desto weiter entfernen sie sich vom eigentlichen Versprechen: Freiheit, Natur, Flow, Gemeinschaft.
Wenn wir uns also nicht die Butter vom Brot nehmen lassen wollen, brauchen wir ein klares Leitmotiv: Weniger ist mehr. Intuitive und leichte Produkte für einfache Freude. Ein schlankes Portfolio statt Produktdschungel. Und Kommunikation, die inspiriert, statt belehrt.


Denn letztlich wollen wir Biker nicht Menüs und Tutorials durchscrollen, sondern neue Trails erkunden.“